Bautzen

                           


                                Erster Weltkrieg - Heimatfront Bautzen



„1913 - was für ein Jahr, da wurden im Mai im Königreich Sachsen kirchliche und militärische Feiern zur Erinnerung an die Befreiungskriege begangen und im Herbst nochmals die 100jährige Jubelfeier anlässlich der Leipziger Völkerschlacht gefeiert und die gefallenen Soldaten geehrt. Es war hundert Jahre her, das die Deutschen Napoleon besiegt hatten, was für eine Glorie. Bautzen errichtete zum Gedenken an die 1813-ger Gefallenen in der „Bautzener Schlacht“ ein Denkmal aus weißem Lausitzer Granit auf dem alten St. Heiligen Geist-Friedhof. Auch die 1870/71-ger Veteranen des deutsch-französischen Krieges wurden in Bautzen jährlich in den Feierlichkeiten der Militär- und Kriegervereine bedacht und ihnen stand eine kleine finanzielle Unterstützung zu. Und der patriotischen Vereine gab es in Bautzen zur Genüge: 14 Militärvereine und 4 Schützenvereine.

Nein, der Krieg war nicht vergessen in den Köpfen der Menschen. Schon längere Zeit brodelte es unter den europäischen Ländern wieder. Die militärischen Auseinandersetzungen 1912-1913 auf dem Balkan forderten fast 400000 tote und verwundete Soldaten. Die Angst und Sorge vor einem übergreifenden Krieg lag in der Luft, gerade die angrenzenden Länder konnten sich der wirtschaftlichen und auch politischen Auswirkungen nicht entziehen. Die Zeitungsmeldungen vom Kriegsschauplatz machten Angst und führten bisweilen zu chaotische Auswirkungen bei den Bürgern. Nach Meldungen zu Kurseinbrüchen, über erhöhte staatliche Militärausgaben rannten die Leute auch in Bautzen zu den Geldinstituten, um ihr Geld abzuholen, sie glaubten dass der Sparstrumpf in den eigenen vier Wänden sicherer sei. Auch darin irrten die Leute, gegen Finanzkrisen, damals wie heute, ist kein Kraut gewachsen. Um die Menschen über die politischen Geschehnisse zu informieren und zu beruhigen, wurde in öffentlichen Versammlungen, und nicht nur von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften, über politische Ursachen und wirtschaftliche Auswirkungen geredet und erklärt. Und es gab öffentliche Bekanntmachungen, Artikel und Beiträge in den Zeitungen, die die Leute aufklären sollten über den Gang der Dinge, denn Ruhe und Ordnung waren notwendig für das funktionierende Kaiserreich.

Doch es half nichts, denn die politische Sicherheit in der Welt war bereits 1912/13 erschüttert. So bestimmten Kriegsthemen und Kriegsschaubilder zunehmend die außenpolitischen Berichterstattungen, das lief bereits ab 1912 bis zum ersten Halbjahr 1914. Anfangs erfolgten nur sporadische Berichte, scheinbar ausgewählt, was später nicht mehr ausgespart werden konnte. Längst hatten sich viele der rund 30000 Einwohner von Bautzen mit den Auswirkungen auf das Alltagsleben auseinanderzusetzen. Schleichend oder sporadisch, von Zeit zu Zeit gab es wirtschaftliche Ernährungsengpässe z. B. in der Fleischbeschaffung oder die Milchprodukte wurden teurer, weil der Absatz in die bisherigen Märkte nicht mehr gesichert war. Auch Brot und andere Backwaren verteuerten sich, das private Bäckerhandwerk klagte über die zu hohen Kornpreise.




 Freitag 31. Juli 1914: „Drohender Kriegszustand“ über Deutschland


Der Juli 1914 soll ein besonders heißer Sommer gewesen sein. Er brachte den Kurorten Sachsens sowie an Nord- und Ostseeküste in diesem Jahr den ersehnten Hochbetrieb im Tourismus und Fremdenverkehr und ebenso war das Stadtbad von Bautzen bestens besucht. Und das trotz des Schicksaltages vom 28. Juni, dem Attentat von Sarajewo auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger und seiner Gattin. Ganz Europa erstarrte Ende Juni 1914 vor Schreck, doch zog für die meisten Menschen bald wieder der Alltag ein. Wer konnte, reiste in die Sommerfrische. Es war eben Sommerzeit und damit Kur-, Ferien- und Badesaison. Für die Schulkinder in Bautzen begann Mitte Juli die Ferienzeit, erst zwischen dem 3. und 12. August sollten sie wieder die Schulbank drücken. Auch die Spitzen der deutschen Reichsregierung machten Urlaub, Gelassenheit demonstrierend.

Und dann nahm der Alltag eine radikale Wendung, denn am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Unerbittlich nahm jetzt der politische Bündnismechanismus seinen Lauf. Von nun an gab es im Bautzener Tageblatt eine Hiobsbotschaft nach der anderen und die Menschen warteten begierig auf jede neue Nachricht. Ab Donnerstagabend (30. Juli) bewachten schon Soldaten die Spreetalbrücke und die Kronprinzenbrücke.

Am Tag darauf, am 31. Juli um 12 Uhr mittags, fiel in Berlin die folgenschwere politische Entscheidung. Kaiser Friedrich Wilhelm II. rief den „drohenden Kriegszustand“ über Deutschland aus, außer über Bayern, das tat der König von Bayern. Durch diese militärische Maßnahme ging die vollziehende Staatsgewalt, die von Ministerien, Landräten und Bürgermeistern, auf den kommandierenden General des XIX. (II. Königlich Sächsisches) Armee-Korps mit Sitz in Leipzig über und das gesamte Kaiserreich war in militärische Alarmbereitschaft versetzt worden.

Nach 14 Uhr traf die eilige „elektrische Drahtmeldung“ auch auf dem Telegrafenamt zu Bautzen ein. In Berlin hielt um 16.30 Uhr der Kaiser vom Balkon des Stadt-Schlosses seine patriotische Ansprache an das versammelte Volk. Und die Menschen, wie reagierten sie in Bautzen auf diese Nachricht. Auf dem Marktplatz z. B. kam es zu spontanen Menschen-Ansammlungen, ähnliche Szenen gab es auch in den Gasthäusern: Die alles entscheidende Frage für jeden war: Gibt es Krieg?

Seit 1871 hatte Frieden im Land geherrscht und nur noch die ältesten Bewohner von Bautzen konnten sich nach 44 Jahren an Kriegsrecht und Kriegszustand usw. erinnern. Auf einmal wurden die Leute sehr geschäftig, jetzt war alles anders, denn die ungeheure Anspannung, die seit einigen Tagen die Menschen im Bann gehalten hatte, war jäh gebrochen.

Ausländern, insbesondere Franzosen und Russen, war bei schon geschlossenen Grenzen das Schicksal beschieden, in deutsche Zivilgefangenschaft zu geraten.



Mobilmachungsbefehl


Am Sonnabend, den 1. August, ließ der deutsche Kaiser um 17.15 Uhr die allgemeine Mobilmachung des deutschen Heeres und der Flotte anordnen. Im Nachhinein wurde vermutet, dass zwischen diesem 31. Juli und 1. August der Krieg noch hätte verhindert werden können, doch ein deutsches Ultimatum an Russland wurde von Zar Nikolaus II. nicht mehr beantwortet, die Generalmobilmachung forciert, darauf erklärte Deutschland dem Zarenreich den Krieg. So verlief das politische Szenario, die Weltlage hatte sich schlagartig geändert und so begann sich die Kriegsmaschinerie in Gang zu setzten.

Auf allen Telegrafenstationen im Kaiserreich ging am 1. August 1914 gegen 18.30 Uhr von Berlin aus der Mobilmachungsbefehl ein, mit dem Text: „Mobilmachung befohlen, erster Mobilmachungstag der 2. August. Dieser Befehl ist sofort ortsüblich bekannt zu machen. Reichs-Postamt.“

An diesem Sonnabend waren die Straßen und Plätze in Bautzen wie die Tage zuvor von Passanten überfüllt. Oder waren sie noch belebter? Auch der Straßenverkehr war unerträglich dicht, auf den Durchgangsstraßen fuhr ein Automobil nach dem Anderen. So einen lauten und dichten Verkehr hatten Bautzener wohl selten erlebt. Die hastig eilenden und dabei stillen Menschen, ob Urlauber, Geschäftsreisende oder Händler, sie hatten nur ein Ziel, sie wollten schnellstens nach Hause. Laufend wurden Droschkenfuhrwerke zu den Hotels mit eiligen Fahrten zum Bahnhof gerufen. Überall war nur gedrängtes Fortkommen. Überall standen die Leute, Männer und Frauen in Gruppen beieinander und heftig miteinander diskutierend. Den ganzen Tag warteten alle auf die letzte Entscheidung, wird es Krieg geben oder nicht, wird die Mobilmachung ausgerufen. Menschenansammlungen bildeten sich vor dem städtischem Rathaus, den Postämtern der Stadtviertel und der Geschäftsstelle der Zeitung. Denn die neuesten Informationen von auswärts kamen nur durch Telegrafie, Telefon und aus den Zeitungsblättern. So warteten die Leute begierig auf die aktuellsten Depeschen. Redakteure saßen an den neuesten Drahtmeldungen, um sie in Worte zu fassen. In diesen heißen Tagen mussten die Anschläge für die Öffentlichkeit bis mindestens 22 Uhr im Schaufenster der Geschäftsstelle vom Tageblatt ausgehangen sein.

Die Nachricht von der Mobilmachung erreichte das Telegrafenamt Bautzen dann noch vor 19 Uhr. Natürlich erhallten in Bautzen wie in anderen deutschen Städten dröhnende Hurra-Rufe, erklangen Lieder wie „Die Wacht am Rhein“. Gruppen von Jugendlichen und alte Kriegsveteranen durchwanderten jubelnd die Reichenstraße, andere zogen zum Kriegerdenkmal und die vaterländische Bekundung zum Krieg wollte scheinbar kein Ende nehmen. Am Sonntagvormittag fanden in den drei Kirchen der Stadt voll besuchte Gottesdienste und am Abend erste Kriegsbetstunden statt.

Am 6. August abends 10 Uhr schlug die Abschiedsstunde für die ersten Krieger aus dem 4. Infanterieregiment Nr. 103, Auszug zum Bahnhof, Einladung der Soldaten, Pferde, Wagen, von Munition und das bis in die frühen Morgenstunden, der Militärzug rollte ab nach Dresden und von da an die Westfront. Am 15. August wurde das aus Reservisten zusammengestellte Ersatz-Regiment 103 auf die Fahrt geschickt. „Als wir mit Blumen geschmückt und überschüttet, von der halben Stadt begleitet, zum Bahnhof marschierten, wurden die alten, jetzt plötzlich zu mächtigem Leben erwachten Lieder gesungen: die Wacht am Rhein, das für die jetzige Stimmung wie geschaffene Lied von der Einigkeit aller Deutschen: „Deutschland, Deutschland über alles.“ Solche euphorischen Dokumente wurden von 1914 überliefert.

Aber danach, immer an den nächsten Tagen, herrschte in den Straßen der Stadt ungewohnte Stille, nur Kinderkreischen und ängstliche Stimmen verhallten hinter manchem offenem Fenster. Was für traurige Szenen müssen sich im Privaten abgespielt haben und haben sie wirklich geglaubt, Weihnachten zu Hause zu sein?

Bereits Ende August verzeichnete Bautzen die ersten Kriegstoten, die öffentlich in den Zeitungen bekannt gemacht wurden.




Pferde für den Krieg


Im Ersten Weltkrieg sollte die deutsche Kavallerie mit ihren Dragonern, Musketieren, Ulanen, Jägern zu Pferden oder Kürassieren in den Kampfhandlungen, zumindest anfangs, eine wichtige strategische Rolle spielen. Schon Sommer 1913 bewilligte der Reichstag nicht nur die Erweiterung der Mannschaften und Waffen, sondern auch die Aufstockung des Tiermaterials, geplant waren zusätzlich 7 neue Kavallerieregimenter mit Soldaten, Pferden und Wagen.

In den unzähligen blutigen Gefechten und auf Patrouillenritten starben viele Pferde und schwer verletzten Tieren musste der Gnadenschuss gegeben werden. In Feldpostbriefen an die Heimat ist dann zu lesen: „Mutter ich hab mein Pferd, einen treuen Kameraden, verloren, Gott sei Dank, ich bin wohl auf.“ Am Ende war der Blutzoll für die Pferde immens: Allein auf deutscher Seite wurde ein Verlust von etwa einer Million Rösser geschätzt.

Traditionell wurden Militärpferde auf Landesgestüten gezüchtet und zusätzlich von privaten Besitzern als Remonten aufgekauft und dann in militärischen Einrichtungen, den Remontedepots, ausgebildet. Die Anzahl der Remonten reichte aber für einen großen Krieg nicht aus, die große Tierreserve aus dem Lande musste einbezogen werden. Schon seit 1900 wurden über den privaten Pferdebestand der Bauern, Ackerbürger, Rittergüter, Bierbrauereien, Fuhrunternehmen oder Droschkenkutscher Deutschlands militärische Pferdemusterungen durchgeführt, damit jährlich die vorhandene Anzahl militärdiensttauglicher Tiere erfasst werden konnte.

Von den nach Waffengattungen gemusterten Tieren erfolgte 1913 und im ersten Halbjahr 1914 hauptsächlich im Norden und im Osten Deutschlands der Pferdeaufkauf für das Heer. In Bautzen fand vor dem Krieg ein Remontemarkt letztmalig Anfang Juli 1914 statt. Noch in der ersten Kriegswoche trafen Pferde aus Dänemark ein.

„4. August 1914 Hoyerswerda, morgens. Liebe Eltern. Wir haben gestern von früh 7 Uhr bis abends 6 (anfangs mit dem Landrat, den Kreisgrößen, Kreistierarzt zusammen) unsere 120 Pferde ausgemustert. Ein Oberleutnant (alter Rittergutsbesitzer) leitete dies Geschäft. Dann wurden sie gebrannt, zusammengekoppelt, elf Wagen und Geschirre gekauft, diese bespannt. Der Kreis Hoyerswerda hatte zu dem Transport vierzig Leute zu stellen, es waren aber darunter alte Leute, die nicht mehr viel laufen konnten, und von Pferden verstanden eine Anzahl auch nichts. Das gab Schwierigkeiten! So gings in langer Kolonne in drei Stunden nach Königswartha, wo wir erst in der Dunkelheit um 10 Uhr eintrafen. Telegrafisch war Quartier bestellt worden, aber das Unterbringen war doch nicht so einfach. Dann sollte noch richtig gefüttert und getränkt werden. Wir werden froh sein, wenn wir glücklich alles in Bautzen haben. Euer Kurt. “

Im Krieg trat in der ersten Mobilmachungswoche anstelle des freiwilligen Verkaufs die Zwangsaushebung der Pferde, am 3. und 4. August 1914 wurden die Pferde beinahe so rekrutiert wie die Soldaten. Für jedes ausgehobene Pferd erhielt der Besitzer eine Bescheinigung, worauf er später den Pferdepreis in bar ausgezahlt erhielt. Doch die finanzielle Abfindung ersetzte beispielsweise den Brauereien, Lastfuhrunternehmen, Droschkenbesitzern und erst recht nicht den Bauern auf dem Lande den Verlust an landwirtschaftlicher Arbeitskraft. Was tun ohne Arbeitspferde, die Lösung lag wohl auf der Hand, wie in alten Zeiten mussten dann Kühe und Ochsen daheim die Pflug- und Gespannarbeiten übernehmen. Das wurde von Kriegsjahr zu Kriegsjahr immer mühseliger und ebenso hörten die Klagen darüber nicht auf. Tatsächlich bot die Landwirtschaftskammer den Bauern 1917/18 mehrmals tüchtige Zugochsen aus Bayern an.



Militärfahrplan und Aufmarsch


Der von der OHL (Oberste Heeresleitung) lange vor dem Krieg ausgearbeitete Militärfahrplan sollte den Aufmarsch der deutschen Armeen an die Fronten mit der Eisenbahn sichern und später auch weitläufige Truppenverschiebungen ermöglichen. Er trat in der Nacht vom 2. zum 3. August für 20 Tage in Kraft und setzte teilweise oder ganz den zivilen Personen- und Güterverkehr außer Kraft. An einigen dieser Tage kamen die Leute in Bautzen nach auswärts nicht mehr zur Arbeit oder auf Umwegen sehr verspätet, keine Post wurde transportiert, Industriebetriebe und Handwerksbetriebe warteten vergeblich auf Materialien und selbst Milchtransporte fielen aus.

Deutschland ging in den europäischen Krieg fast zeitgleich an zwei Fronten, im Westen gegen Frankreich und im Osten gegen Russland, was für den militärischen Aufmarsch eine große Transportlogistik erforderte. Das war nicht so geplant, denn die Militärstrategen rechneten mit mehr Zeit für den Osten, da sie Russland eine längere Zeit der Mobilmachung zumuteten.

Gerade für den gewaltigen Aufmarsch von 7 deutschen Armeen an der Westfront mussten viele militärischen Einheiten weite Wege aus dem Inneren Deutschlands zurücklegen und dabei möglichst schnell und reibungslos an die Front gelangen. Allein im Eisenbahndirektionsbezirk Köln wurden während der ersten 19 Mobilmachungstage über fünf Rheinbrücken westabwärts etwa 26000 Militärzüge aus allen Gegenden des Kaiserreichs befördert. Die Züge schafften fast zwei Millionen Soldaten und Offiziere sowie die zu ihnen gehörigen Geschütze, das Pferdematerial, Bagage, Feldbäckereien, Munition, Proviant usw. zur Grenze. Andererseits machten sich Militärzüge aus den Reichslanden Elsass-Lothringen und aus dem Rheingebiet auf den langen Weg nach der Ostfront, was einen zusätzlichen Aufwand bedeutete, weil die deutsche Heeresführung insbesondere den „Zwangsrekrutierten“ der Reichslande mit französischer Abstammung, Verwandtschaftsbeziehungen etc. im Krieg mit Frankreich nicht das volle Vertrauen schenkte, man sorgte sich vor unzuverlässigen „Waffenbrüdern“.

„Bautzen, 7. August: Wundervoll ist das Leben hier. Die Ordnung und Ruhe in dem von fertig ausgerüsteten, ganz, halb, und noch nicht eingekleideten Reservisten wimmelnden Bautzen ist großartig. Und alles geht am Schnürchen. Die Einberufenen sind alle pünktlich da, und alle ernst und entschlossen, obwohl sehr viele Familien Väter darunter sind. Wir werden wohl in der Nacht zum Dienstag auf die Bahn kommen.“

Die lange Fahrt der Züge an die Westfront von 2 bis zu 4 Tagen verlief über weite Strecken langsam und beinahe gespenstisch. Der Militärfahrplan schrieb in der Zeit des Hauptaufmarsches eine reduzierte Grundgeschwindigkeit von 30 km/h auf den Hauptbahnen und 25 km/h auf den Nebenbahnen vor und die Züge wurden auf den Hauptstrecken im 30-Minutentakt von den direkten Linienkommandos abgelassen. Die gedrosselte und gleichmäßige Geschwindigkeit der Züge bot die Gewähr für einen reibungslosen Verlauf des Bahnverkehrs. So konnten mögliche Zwischenfälle, wie Zugverspätungen, rasch wettgemacht und etwaige Unfälle vermieden werden. Unterwegs waren auf größeren Bahnhöfen Halte eingeplant, die Lokomotiven brauchten Kohlen- und Wassernachschub und die Soldaten und Tiere Verpflegung.

„Abfahrt von Dresden, in Apolda und Weimar kurzer Aufenthalt genommen. Von der Morgensonne goldig überstrahlt grüßten die Türme der Blumenstadt Erfurt uns entgegen. Das Diner ist serviert!, meldete beim Halt in Neudietendorf der alleweil fidele Adjutant. Alles war ganz ausgezeichnet vorbereitet: Große Hallen waren für die Speisung der Mannschaften errichtet, in Reihen standen Kippwaschbecken nebst Seife und Handtüchern bereit, sogar die Haare schneiden und rasieren lassen konnte man sich für billiges Geld bei einem ‘fliegenden Barbutz’.

Der Hauptetappenort (Ziel) war nur dem Kommandeur bekannt, die Soldaten wussten erst genauer am Rhein oder nach den Schwarzwaldbergen, wohin die Fahrt letztendlich ging. An den Waggons zeigten Kreideschriften der enthusiastischen jungen Männer, wohin der Zug rollen sollte: „Wir sind aus Bautzen und hauen die Franzosen auf die Schnauzen“. Viele junge Soldaten sprühten vor Enthusiasmus, einige waren gar voller Übermut, bis sie aus den Zügen stiegen.

„Auf der Bahnfahrt hatten wir noch Zeit. Dann aber war es damit vorbei. Sonntagabend wurden wir, es war schon dunkel, in Bitburg an der Eifel ausgeladen. Nach endlosem Stehen ging es in die Quartiere. Dann ging es in 6 Marschtagen zunächst in nördlicher, dann nach Westen biegender Richtung quer über die Eifel, über die kahlen Hochflächen und hinunter in die landschaftlich ja sehr schönen, für die marschierende Truppe allzu zahlreichen und zu tief eingeschnittenen Täler. Durch den Nordzipfel von Luxemburg ging es dann nach Belgien.“




 Angst um das liebe Geld


Der Kriegsausbruch schürte soziale Ängste und Unsicherheiten bei den Menschen, ganz besonders wenn es um den Notgroschen auf der Sparkasse ging. Und so griff die Sorge um die Geldsicherheiten in den Köpfen der Menschen um sich. Solche Fragen wie: was geschieht mit den Geldeinlagen, wer kann jetzt darüber verfügen oder was ist mit dem Geldwert? Viele Kontoinhaber waren misstrauisch, trauten der Sparkasse nicht mehr und tätigten größere Geldabhebungen. Derartige Aktionen waren in jenen Jahren allerdings nicht neu, wirtschaftliche Unsicherheiten schürten immer wieder Ängste ums liebe Geld. Vor Kriegsausbruch hatten bereits in der Reichshauptstadt Berlin am 27. Juli 1914 circa 7000 Sparer insgesamt 935000 Mark abhoben und blieb auch Bautzen davon nicht unberührt. Aus dem Bautzener Tageblatt hatten die Leser dann erfahren, das mit dem Tag der Mobilmachung zwei Bankiers bekannter Geldinstitute in Weimar und Potsdam sich das Leben genommen hatten, was die Spekulationen um das Geld nur noch anheizte.

Zum anderen war es natürlich so, dass mit Kriegsbeginn in den Familien danach getrachtet wurde für die folgende Zeit Vorsorge zu tragen. Viele Kleinsparer schmälerten ihr Guthaben vorsorglich, um für die schwere Zeit vorbereitet zu sein. Die meisten ins Feld ziehenden Soldaten glaubten, der Krieg dauerte nur kurze Zeit und dass sie bald aus dem Schlachtfeld wieder heimkehren würden. Nicht wenige Soldaten glaubten gar, Weihnachten werde man wieder daheim sein. Mit dem Gestellungsbefehl in der Hand suchten viele Männer und Väter noch schnell die Bautzener Sparkassen- und Leihanstalt auf, um für ihre Abwesenheit zusätzlich bares Geld für Frau und Kinder abzuheben. Denn die Männer waren hauptsächlich Verfügungsberechtigte über die Sparbücher.

Bei den meisten wurden die ohnehin mühsam zusammen getragenen Ersparnisse aufgebraucht, aber vorläufig sollte es reichen! Wieder ein Irrtum, der Krieg dauerte sehr viel länger und von Beginn an musste die gesetzliche staatliche Familienunterstützung für die Soldatenfamilien sorgen und die Kommunen halfen mit finanziellen Zuschüssen die größte soziale Not zu lindern.

Eine weitere Angst herrschte vor der Inflation, die Bautzener trauten auch den Reichsbanknoten und den neu eingeführten Reichskassenscheinen aus Papier nicht mehr. In dieser Hinsicht waren es die Kaufleute, die allen voran gingen, sie wollten von der Kundschaft ausschließlich mit Hartgeld bezahlt werden und trieben dazu die Warenpreise hoch. Das Handwerk und der Handel verweigerten schon in der ersten Kriegswoche die Ausstellung von Rechnungen und verlangten für ihre Leistungen und den Verkauf von Waren konsequent Barzahlung.

Um einer Panik um das liebe Geld bei der Einwohnerschaft entgegen zu wirken, veröffentlichte das Bautzener Tageblatt immer wieder aufklärende Informationen. Die Redakteure betonten dabei im Auftrag der Geldinstitute, dass die Sparguthaben absolut sicher seien. Auch Oberbürgermeister Dr. Kauebler kam zu Wort, er ließ am 3. August in der Zeitung schreiben: „Die Abhebung von Spar- und Bankeinlagen ist verkehrt. Das Geld ist bei den Banken sicher aufgehoben und als Privateigentum jedem Zugriff des eigenen Staates sowie des Feindes entzogen. Papiergeld ist auch in Kriegszeiten dem gemünzten Gelde völlig gleich zu achten“.

Der Kommandeur des sächsischen Generalkommandos zu Leipzig drohte an, „alle Geschäfte, Wirtschaften, Hotels usw. unverzüglich polizeilich schließen zulassen, in denen Reichskassenscheine und Reichsbanknoten nicht zum vollen Wert in Zahlung genommen oder für notwendige Nahrungsmittel unverhältnismäßige Preise gefordert werden. Binnen Kurzem wird die Festsetzung von Höchstpreisen erfolgen.“

Die Münzen oder das damalige Hartgeld zu 2, 3 und 5 Mark war in diesen Tagen ein sehr begehrtes Zahlungsmittel. Sie enthielten einen Edelmetallgehalt an Silber oder Gold und konnten alle Zeiten und Währungen überdauern. Allgemein stand der Nennwert von einer Mark für einen Feingehalt von fünf Gramm Silber. Eine fünf Mark Silbermünze enthielt also 25 g Silber. Mit Münzen wussten die Leute, welcher Wert im Sparstrumpf lag. Aber sicher war das Geld in den eigenen Wänden ganz gewiss nicht.



Bautzener Kriegerfrauen


Als die Frau zur Kriegerfrau wurde. Die Bezeichnung Kriegerfrau, darunter wurden meist Ehefrauen und alleinstehende Mütter, deren Männer oder Söhne in den Krieg zogen, verstanden, entwickelte sich während der Kriegszeit. Und doch wurden die Frauen von Anbeginn sehr stark für Kriegszwecke mobilisiert. Dabei änderten sich für die Frauen die Lebensbedingungen in jeder Hinsicht schlagartig. Die Männer verließen täglich in Scharen die Heimat und die Frauen blieben mit den Anforderungen des Tages zurück. Wie oft hörte man wohl auf den Straßen neben dem anfänglichen Jubel auch zweifelnde Sätze: „Das Leben muss ja weiter gehen“ oder „Wenn die Kinder nicht wären …“. Auf ihren Schultern ruhte die wirtschaftliche und soziale Verantwortung für Haus, Heim und Kindererziehung. Die soziale Situation war schwierig, denn die Männer als bisherige Haupternährer der Familie und so genannter Hausvorstand, fehlten jetzt. Die Krieger erhielten auf dem Schlachtfeld je nach Dienstgrad eine gestaffelte Löhnung, viele Familienväter schickten mitunter Geld nach Hause, um Frau und Kinder zu unterstützen.

Für die soziale Sicherheit der zurückgebliebenen Familie sollten nunmehr Staat und Kommune mit täglich neu erscheinenden Verordnungen eintreten. In der ersten Kriegssitzung vom 8. August beschlossen die Stadtverordneten den Familien der einberufenen Beamten ihr Gehalt weiterzuzahlen, den einberufenen Angestellten und Arbeiter wenigstens die Hälfte des Lohnes weiterzuzahlen. Jedenfalls, vorerst. Für andere Soldatenfamilien, deren Männer in den Industriebetrieben oder im Handwerk arbeiteten, sah es weit weniger günstig aus. Es galten zunächst nur die allgemeinen staatlichen Unterstützungssätze, das hieß im Sommer 1914 betrug die Unterstützung 9 Mark und im Winter 12 Mark monatlich für die Ehefrau, für Kinder unter 15 Jahren 6 Mark und wurde im Verlauf des Kriegs erhöht, z. B. auch auf uneheliche Kinder ausgedehnt usw. Die Zeitungen informierten regelmäßig insbesondere die „niederen Stände der Stadt“ zu aktuellen Veränderungen in der sozialen Gesetzgebung. Die Frauen mussten aufmerksam sein, wenn sie mit ihren Anträgen auf Zuschüsse zurechtkommen wollten. Wie es sich bald zeigte, reichten diese staatlichen Ersatzleistungen jedoch nicht aus und die Stadt musste Kredite aufnehmen, um die allgemeine, staatliche Unterstützung aufzustocken. Bereits im Herbst 1914 bezuschusste die Stadt betroffene Soldatenfrauen je nach sozialer Not mit 7, 8 oder 9 Mark pro Monat und für jedes Kind je nach Lage durch 4,50, 5 oder 6, Mark monatlich.

Ebenso entfaltete sich eine aktive private Wohlfahrtshilfe in Bautzen. Neben vielen politischen Losungen und Schlagworten dieser Zeit, war dann in der Zeitung zu lesen: „Ehrenpflicht der Zurückbleibenden ist es, für die Familien der Hinausziehenden zu sorgen.“ Tatsächlich unterstützten viele Bürger, denen es wirtschaftlich gut ging, die Kriegerfrauen und ihre Kinder in starkem Umfang. Die Stadt gründete ein Hilfskomitee für Familien in Not.

Ja, der Krieg war von Allen als eine nationale Aufgabe verstanden worden und die persönliche Bereitschaft in Notzeiten zu helfen war groß. Von Anbeginn des Krieges gab es organisierte Sammlungen zugunsten der Soldaten an der Front aber auch für Frauen und Kinder. Die Leute gaben bereitwillig und großzügig Geld- und Sachspenden jeder Art her. Dabei ist zu bemerken, dass der große Zusammenhalt und die gegenseitige Hilfe der Soldatenfrauen hauptsächlich durch sie selbst aufgebaut und begründet wurde. Im Bautzener Frauenverein z. B. gab es in jeder erdenklichen Weise stets einen guten Rat und Hilfe bei Antragstellungen für die Verwaltung.

Der eingerichtete städtische Arbeitsnachweis konnte im August 1914 fast alle Arbeitslosen in Arbeit bringen und versuchte nun besonders Frauen auf freie Arbeitsstellen zu vermitteln. Frauen ersetzten in den folgenden Jahren die fehlende Arbeitskraft der Männer in der Wirtschaft.

Das betraf z. B. die Waggonfabrik Bautzen, der größte Arbeitgeber der Stadt. Die Fabrik musste bald einen Teil der Produktion auf Kriegsproduktion umstellen und Granaten für den Krieg produzieren. Für die einberufenen Arbeiter wurden als ersatzweise und im Verlauf des Krieges immer mehr Frauen eingesetzt und nicht selten auch genötigt, in Arbeit zu gehen. Die Arbeit in der Fabrik war körperlich schwer und die bis zum Kriegsausbruch geltenden Schutzgesetze für Arbeiterinnen wurden außer Kraft gesetzt. Trotz gleicher Arbeit machte der Arbeitgeber Unterschiede in der Lohnzahlung zwischen den Geschlechtern, die Frauen erhielten weniger Geld für gleiche Arbeit. In Bautzen erhielten die Männer für das Anstreichen der Granaten pro Stück 3,5 Pfennige, die Frauen dagegen nur 1,5 Pfennige. Die körperliche Belastung war enorm, denn die Granaten wogen schwer. Dem Großteil der zurückgebliebenen Frauen blieb keine Wahl, wenn sie sich und ihre Angehörigen durchbringen mussten.



Kriegsgefangenenlager


1914-1918 gerieten Millionen Soldaten und Offiziere aus allen kriegsführenden Ländern in Gefangenschaft, der Umgang mit ihnen war bereits durch die kriegsvölkerrechtlichen Vereinbarungen der Haager Konvention von 1907 geregelt worden. Mehr als hundert Kriegsgefangenenlager waren bis zum 1. April 1915 über Deutschland verteilt, dazu gehörten die Mannschaftslager in Bautzen und Königsbrück sowie die Offiziersgefangenenlager in Bischofswerda und Königsstein.

Das Bautzener Tageblatt veröffentlichte am Anfang Dezember 1914 in einem Extrablatt die amtliche Meldung aus Berlin: 220000 Kriegsgefangene, davon vom Kriegsgegner Russland 1830 Offiziere und 91400 an Mannschaften. Zu diesem Zeitpunkt wusste wohl niemand, was auch auf Bautzen und Königsbrück in der folgenden Zeit zukommen sollte.

In Bautzen wurde ein Gefangenenlager für Mannschaften in der Stärke bis zu 300 Soldaten in einer Artilleriekaserne eingerichtet. Die Lebensbedingungen waren schlicht, so wurden die Gefangenen, anfangs Russen, in den freien Stallungen und in einem Reithaus untergebracht. Als Schlafunterlage dienten Matratzen, die mit Stroh und später mit Holzwolle gefüllt wurden. Für die Einnahme der Mahlzeiten und für anderweitige Veranstaltungen gab es Aufenthaltsräume. Bei der Inspektion deutscher Kriegsgefangenenlager durch die dänisch-russische Kommission 1. Oktober 1915 schnitt das Lager Bautzen unter den 76 inspizierten Lagern in Deutschland in der Bewertung mit kleinen Problemen ab. Im Bericht hieß es:

„Die Räume werden mit großen Öfen geheizt, da aber die Matratzen direkt auf dem steinernen Boden liegen, wird es doch im Winter zu kalt und feucht. Wir haben deswegen den Kommandanten gebeten, hölzerne Unterlagen für die Matratzen machen zu lassen, welches er versprochen hat. Die Gefangenen beklagten sich über die Morgen- und Abendsuppe, dass dieselbe voll Haare und nicht wohlschmeckend sei. Die Sache ist gleich untersucht worden und es ist festgestellt worden, dass das Mehl nicht gut war und noch dazu voll Haaren von der Sichte (Sieb) der Mühle sei.“

Zum Lager gehörten eine kleine Bibliothek und die äußerst wichtige Paket- und Poststelle, wo Nachrichten aus der Heimat, von den Familien eintrafen und ausgegeben wurden. Für Kranke Lagerinsassen war ein Lazarett eingerichtet worden, worin am 1. Oktober 1915 auch 39 Kranke gezählt wurden. Außerdem gab es einen Zahnarzt und einen Zahntechniker, die regelmäßig hier arbeiteten. Das Lazarett bewährte sich in vielerlei Hinsicht, aber ganz besonders groß war die Sorge und nicht unbegründete Angst vor eventuellen Seuchen. Bei den kleinsten Anzeichen von Läusebefall wurde sofort Quarantäne ausgelöst, um das gefährliche Fleckfieber zu verhindern.

Die Gefangenen wurden verschiedentlich beschäftigt in umliegenden Werkstätten für Schneider, Tischler, Schmiede und Schuhmacher. Von den Schneidern wurden sowohl die alten Kleider repariert als auch neue Oberkleider angefertigt, doch waren sämtliche Arbeitsmaterialien begrenzt. Der größere Anteil von Kriegsgefangenen wurde in so genannten Arbeitskommandos in kriegswichtigen Betrieben zur Zwangsarbeit eingesetzt, dazu gehörten auch die Waggonfabrik oder die Weberei in Bautzen.

Wesentlich größer als das Bautzener Gefangenenlager war das Barackenlager in Königsbrück für circa 9000 Gefangene, hauptsächlich für russische, polnische und für einige französische Soldaten. Anfang Oktober 1915 waren davon Transporte mit etwa 3000 neuen Kriegsgefangenen angekommen. Zum Lager gehörte ein etwas abseits gelegener Gefangenenfriedhof auf einer kleinen Waldlichtung. Außerdem das Lazarett für die Krankenbetreuung, worin Oktober 1915 an die 248 Patienten ausgewiesen wurden. Darunter gab es mehrere Tuberkulosefälle, die extra einquartiert und versorgt wurden. Das Lager Königsbrück nahm von der Personenzahl her schon die Ausmaße einer mittleren deutschen Stadt an und erforderte einen immensen Verwaltungs- und Verpflegungsaufwand.

Um keinerlei Unzufriedenheit oder geringste Aufruhr unter den Lagerinsassen aufkommen zulassen, wurde für ausreichende Ernährung gesorgt. Das Kriegsministerium in Berlin verlangte daher monatlich einen Speiseplan. Ein Lager für rund 10000 Mann verschlang für den Monat 90000 kg an Brot, für einen Wintermonat 23000 kg Fleisch und 200000 kg Kartoffeln und für einen Sommermonat 17000 kg Fleisch und 200000 kg Kartoffeln. Der individuelle Verpflegungssatz für einen internierten Soldaten war täglich auf einen Nährwert von 2700 Kalorien (85 g Eiweiß, 40 g Fett und 475 g Kohlehydrate) bemessen.

Beim Essen trafen aber die Speisegewohnheiten verschiedener Nationen aufeinander. In Königsbrück wurden Franzosen und Russen gemeinsam abgespeist und ein Bericht sagt aus, dass es hier wenig Essenreste gab. Was die Franzosen am Tisch übrig ließen, verzehrten die Russen, deren Mägen mehr gewohnt waren. Mitte 1916 wurden in den Gefangenenlagern die tägliche Brotration von 500 g auf 300 g gekürzt, das traf besonders die Franzosen nachteilig. Aber der Getreidemangel in Deutschland hatte diese einschneidende Maßnahme veranlasst. Einmal im Gefangenlager untergebracht, warteten sie alle irgendwie auf ein Ende dieser Zeit, entweder durch einen möglichen Gefangenenaustausch oder den Friedensabschluss, der lange unabsehbar blieb.

 



Krieg in der Zeitung

Nach Kriegsbeginn im August 1914 mussten bis Mitte November 1914 nicht weniger als 593 Zeitungen oder Zeitschriften in Deutschland endgültig oder vorläufig die Produktion einstellen. Davon waren etwa 66 regionale Zeitungen betroffen. Das Bautzener Tageblatt, 1898 gegründet, und die älteren Bautzener Nachrichten (erstmals 1782) schafften den Sprung und konnten in der folgenden Zeit die Auflagen noch steigern. Und das trotz mehrmaliger Verteuerung der Abonnemente- und Einzelpreise durch steigende Papierpreise, zeitweise mit mangelnden Arbeitskräften, da Redakteure, Setzer oder Drucker ins Feld eingezogen wurden. Die Bautzener Zeitungen blieb über die Kriegszeit in vielerlei Hinsicht eine wichtige Verbindung zwischen Heimat und Front.

Doch für die Arbeit der Redaktionen und Redakteure bedeutete der Krieg eine strenge militärstaatliche Zensur. Freier und unabhängiger Journalismus in der Berichterstattung war nicht mehr möglich. Etwaige bisher bestehende freie Nischen wurden beseitigt, denn sofort nach Ausrufung des „drohenden Kriegszustandes“ am 31. Juli erschien ein Leitartikel unter der Überschrift: „Reden ist Silber, schweigen ist Gold.“ Das bedeutete, dass sämtliche Kriegsberichterstattungen von der Obersten Heeresleitung über Agenturen „Wolffsches Telegraphenbüreau) durchgestellt wurden und so wörtlich von den Zeitungen übernommen werden mussten. So erging es allen Blättern und damit war eine zeitliche Gleichschaltung der Informationen vom Kriegsschauplatz erreicht. Die Leserschaft in Bautzen wurde vom westlichen Kriegsgeschehen genauso schnell und aktuell informiert, wie die Leser in den Städten nahe der Westfront oder in Leipzig und Berlin. Noch Anfang 1916 machte das Bautzener Tageblatt in eigener Sache Werbung mit dem Slogan „Wir sind genauso schnell wie die Berliner Zeitungen.“ Einige wenige Kriegsberichtserstatter: Reporter, Maler und Fotografen, wurden im Verlauf des Krieges sorgfältig geprüft und begrenzt zugelassen, um über neueste Ereignisse und den Alltag der Soldaten zu berichten.

Die Bautzener Leser studierten aufmerksam die Kriegsereignisse, denn aus den Schlachtberichten konnten sie erahnen, wie es ihren Söhnen an den unmittelbaren Frontabschnitten erging. Seit Mitte Auguste wussten die Familien durch erste Feldpostbriefe, an welchen Frontabschnitten die Männer und Söhne kämpften. Doch ein Großteil blieb weiterhin im Ungewissen, die Zeitung blieb wichtiges Verbindungsglied zwischen Front und Heimat in den Kriegszeiten. Die sächsischen Verlustlisten wurden seit Ende August 1914 regelmäßig veröffentlicht, wodurch die Familiennamen in die Öffentlichkeit kamen. Die Verlustlisten wurden unterteilt in: verwundet, vermisst oder gefallen. Jede Woche erschienen neue Namen und damit neue Schicksale. Gerade als Pedant dazu erschienen die Namen der lebenden Helden in der Zeitung, die Namen, der mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichneten Soldaten und Offiziere.

Das zivile Leben wurde weitgehend den Erfordernissen des Krieges angepasst und die Zeitung half bei der Umstrukturierung. Viele Tagesausgaben wurden mit der Verbreitung von Korpsbefehlen, Anordnungen, Verordnungen oder Aufrufen für Hilfssammlungen gefüllt. Mitunter reichte selbst der Platz in den Bautzener Nachrichten nicht aus, dem eigentlichen Amtsblatt, und es gab dazu Extrablätter. Die Menschen wurden informiert und mobilisiert, Frauen und Kinder wurden aufgefordert ihren Anteil in den Kriegszeiten zu leisten. Die Redaktion mahnte die Leute: „Man lese die amtlichen Bekanntmachungen. Nicht nur an den Tagen, an denen man etwas Wichtiges unter ihnen vermutet, sondern täglich. Unter den amtlichen Bekanntmachungen werden fast Tag für Tag Bestimmungen wirtschaftlichen Inhalts verzeichnet, die man in dieser ernsten Zeit wissen und befolgen muss - einmal im Interesse des allgemeinen Wohls und dann auch, um sich vor Strafe zu schützen.“ Und bestraft wurde regelmäßig vom „Kriegsgericht“, beispielsweise die Hausfrau, die zu Weihnachten 1917 trotz Kuchen-Backverbot Napfkuchen auftischte und von irgendwem angezeigt wurde. Auch das war der Krieg.

In Berlin war im 2. Kriegsjahr ein Kriegs-Presseamt eingerichtet worden, das bestimmte Berichterstattungen verbot und ausgewählte Nachrichten zensurpflichtig machte, dessen Anordnungen wurden per Draht an die Redaktion des Bautzener Tageblatts weitergeleitet. Beispielsweise musste der Untergang des Kriegsschiffes SMS Karlsruhe am 4. November 1914 aus militärtaktischen Gründen geheim gehalten werden und noch im Juli 1915 riet man ab, vom Verlust des Kriegsschiffs zu berichten.

In einer Sitzung der Oberzensurstelle am 22. September 1915 wurde klargestellt: „Unsere Zeitungen sollen nicht schreiben was das Volk gerne hört und was demzufolge den Straßenverkauf der Blätter ergiebiger macht. Sie sollen zu den geistigen Führern des Volkes gehören und schreiben, was nützt!“


 
 

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