Güstrow

                           


                                Erster Weltkrieg - Heimatfront Güstrow



Freitag 31. Juli: „Drohender Kriegszustand“ über Deutschland


In Mecklenburg soll im Juli 1914 ein besonders heißer Sommer gewesen sein. Er brachte der Stadt Güstrow viel Besuch und der Küstenregion in diesem Jahr den ersehnten Hochbetrieb im Tourismus und Fremdenverkehr. Und das trotz des Schicksaltages vom 28. Juni, dem Attentat von Sarajewo auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger und seiner Gattin. Ganz Europa erstarrte vor Schreck, doch zog für die meisten Menschen bald wieder der Alltag ein. Wer konnte, reiste in die Sommerfrische an die Ostsee, wo sich in den Bäderlisten sogar eine bessere Tendenz als in den beiden Vorjahren abzeichnete, bis zum 18. Juli 1914: Ostseebad Binz zählte 8838 Sommerfrischler. Es war eben Sommerzeit und damit Ferien- und Badesaison, die Bade- und Bewegungskultur an der offenen See war groß in Mode gekommen. Für die Schulkinder in Mecklenburg begann Mitte Juli die Ferienzeit, erst zwischen dem 3. und 12. August sollten sie wieder die Schulbank drücken. Auch die Spitzen der deutschen Reichsregierung machten Urlaub, Gelassenheit demonstrierend.

Und dann nahm der Alltag eine radikale Wendung, denn am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Aus Mecklenburg reisten am nächsten Tag die wehrpflichtigen österreichisch-ungarischen Staatsbürger, die landwirtschaftlichen Schnitter bzw. Wanderarbeiter, in ihre Heimat zurück, um ihre Pflicht zu erfüllen. Mit Sorge erfüllte Männer trafen sich auf dem Güstrower Bahnhof. Am 29. Juli wurde das Feldartillerieregiment Nr. 24 von der Schießübung auf dem Truppenübungsplatz Munster (Lüneburger Heide) in die Garnison Güstrow zurückberufen, noch in der Nacht kamen die „braun gebrannten“ Soldaten in Güstrow an.

Von nun an gab es in der Güstrower Zeitung täglich eine Hiobsbotschaft nach der anderen. An warnenden Stimmen vor einem Vielvölkerkrieg fehlte es auch im Norden nicht, insbesondere aus den Reihen SPD und der Gewerkschaften, bis zuletzt.

Am 31. Juli um 12 Uhr mittags fiel in Berlin die folgenschwere politische Entscheidung. Kaiser Friedrich Wilhelm II. rief den „drohenden Kriegszustand“ über Deutschland aus, außer über Bayern, das tat der König von Bayern. Durch diese militärische Maßnahme ging die vollziehende Staatsgewalt, das hieß auch die des Bürgermeisters von Güstrow, auf den kommandierenden General des 9. Armeekorps (zu dem Mecklenburg und Güstrow gehörten, mit Sitz in Altona) über und das gesamte Kaiserreich war in militärische Alarmbereitschaft versetzt worden. Die Meldung vom Kriegszustand wurde von Berlin aus in alle Orte des Kaiserreichs telegrafiert und öffentlich bekannt gegeben. Der „drohende Kriegszustand“ verlangte die sofortige Grenzsicherung im Westen und Osten, des Weiteren den Schutz der Eisenbahnen, Schifffahrtswege und Häfen usw. für den bevorstehenden Aufmarsch und eine absolute Nachrichtensperre über militärische Tatbestände.

Nach 14 Uhr ging die eilige „elektrische Drahtmeldung“ auch auf dem Kaiserlichen Postamt in Güstrow ein. In Berlin hielt um 16.30 Uhr der Kaiser vom Balkon des Stadt-Schlosses seine patriotische Ansprache an das versammelte Volk. Und die Menschen, wie reagierten sie in Güstrow auf diese Nachricht. Auf dem Marktplatz z. B. kam es zu spontanen Menschenansammlungen, ähnliche Szenen gab es auch in den Gaststätten: Die alles entscheidende Frage für jeden war: Gibt es Krieg?

Seit 1870/71 hatte Frieden im Land geherrscht und nur noch die ältesten Bewohner konnten sich an Kriegsrecht und Kriegszustand usw. erinnern. Auf einmal wurden die Leute sehr geschäftig, jetzt war alles anders, denn die ungeheure Anspannung, die seit einigen Tagen die Menschen im Bann gehalten hatte, war jäh gebrochen.



Sonnabend, 1. August 1914 - Mobilmachungsbefehl


Am Sonnabend, den 1. August, ließ der Kaiser um 17.15 Uhr die allgemeine Mobilmachung des deutschen Heeres und der Flotte anordnen. Im Nachhinein wurde vermutet, dass zwischen diesem 31. Juli und 1. August der Krieg noch hätte verhindert werden können, doch ein deutsches Ultimatum an Russland wurde von Zar Nikolaus II. nicht mehr beantwortet, der die Generalmobilmachung aufrecht erhielt und darauf Deutschland dem Zarenreich den Krieg erklärte. So verlief das politische Szenario, die Weltlage hatte sich schlagartig geändert, aber in welche Richtung würde es nun weiter gehen?

Auf allen Telegrafenstationen ging am 1. August 1914 gegen 18.30 Uhr von Berlin der Mobilmachungsbefehl ein, mit dem Text: „Mobilmachung befohlen, erster Mobilmachungstag der 2. August. Dieser Befehl ist sofort ortsüblich bekannt zu machen. Reichs-Postamt.“

An diesem Sonnabend waren die Lange Straße, die Domstraße oder der Marktplatz in Güstrow wie die Tage zuvor von aufgeregten Passanten gefüllt. Oder waren sie noch belebter? Überall standen die Leute, Männer und Frauen in Gruppen beieinander und heftig miteinander diskutierend. Den ganzen Tag warteten alle auf die letzte Entscheidung, wird es Krieg geben oder nicht, wird die Mobilmachung ausgerufen. Menschenansammlungen bildeten sich vor dem Rathaus, dem Postamt und vor der Zeitungsredaktion. Denn die schnellsten Informationen von auswärts kamen nur durch Telegrafie, Telefon und den Zeitungen. So warteten die Leute begierig auf die aktuellsten Depeschen. Redakteure saßen an den neuesten Drahtmeldungen, um sie in Worte zu fassen. In diesen heißen Tagen mussten die Anschläge für die Öffentlichkeit bis mindestens 22 Uhr im Schaufenster des Geschäftshauses der Zeitung bekannt gemacht werden.

Die Nachricht von der Mobilmachung erreichte Güstrow noch vor 19 Uhr, jetzt gab es für Jung und Alt kein halten mehr. Die städtische Kapelle konzertierte auf dem Marktplatz und patriotische Lieder ertönten. Der Erste Staatsanwalt Krüger hielt vom Balkon des Rathauses eine Ansprache. Eine Gruppe von Menschen marschierte zum Kriegerdenkmal auf der damaligen Wallanlage. Der städtische Höhepunkt des Wochenendes, die Verbandstagung der mecklenburgischen Gewerbevereine in Güstrow, endete vorzeitig und mit dem Abbruch der Hauptversammlung am Sonntag.

Kurzerhand hieß es bald für die ersten Güstrower Einberufenen Abschied nehmen von Frau und Kindern, von Eltern und Freunden. Sie hatten sich z. B. schnellstens einzufinden bei den Garnisonen in Rostock, Schwerin oder Wismar. Und bei allen öffentlichen patriotischen Kundgebungen, was für traurige Szenen müssen sich im Privaten abgespielt haben und haben sie wirklich geglaubt, Weihnachten zu Hause zu sein?

Auch der Straßenverkehr war unerträglich dicht, auf den Durchgangsstraßen Richtung Schwerin, Wismar oder Rostock fuhr ein Automobil nach dem Anderen. Solch lauten und dichten Verkehr hatten die etwa 18000 Einwohner der Stadt wohl selten erlebt. Die hastig eilenden und meist stillen Menschen, ob Urlauber, Geschäftsreisende oder Händler, sie hatten nur ein Ziel, sie wollten schnellstens nach Hause. Einige Männer mit Gestellungsbefehl in der Tasche wurden von den Angehörigen zu den Garnisonen begleitet.

Das Kaiserreich hatte einige Erleichterungen für freiwillige Kriegsteilnehmer per Gesetz vorbereitet, um schnell in den Krieg zu kommen. Z. B. stand reiferen Gymnasiasten das Notabitur (Abschluss 11. Klasse) zu, damit sie mit 17 Jahren als Freiwillige nach kurzer militärischer Ausbildung an die Front konnten. Ende August erwarben am Realgymnasium Paul Bäcker (Warin), Kurt Borchardt (Pritzwalk), Paul Sonnenkalb und Willi Maul (beide Güstrow) sowie Paul Riekehof (Qualitz) auf diese Weise vorzeitig das Abitur. Von den Primanern der Stadt und den aus Güstrow stammenden Studenten meldeten sich bis Mitte August 1914 50 Freiwillige zur Front. Männer aller Stände und Schichten gingen in die Schlachten und keiner konnte sich der tödlichen Gefahren entziehen.

Nach einer Woche Krieg ließ mit Paul Schröder 2 der erste Güstrower in der 9. Kompanie des 3. Bataillons des Rostocker Füsilier-Regiments Nr. 90 während der Kämpfe in Belgien sein Leben.




Zivilgefangene


Mit Kriegsbeginn wurden die deutschen Grenzen in Ost- und West sofort geschlossen. Ausländern gelang es kaum noch Deutschland zu verlassen, insbesondere den französischen, russischen und englischen Staatsbürgern. Sie wurden nun mit Kriegsbeginn festgesetzt und viele von ihnen zu Zivilgefangenen gemacht. Umgekehrt erging es den Deutschen in Frankreich, Russland oder England ebenso, oder unterwegs nach der Heimat. So das Beispiel des Güstrower Kapitäns G. J. Tarnow. Er begab sich am sich 15. August 1914 mit einigen Hundert anderen Deutschen und Österreichern mit der „Potsdam“ der Holland-Amerika-Linie von New York auf die Heimfahrt nach Rotterdam. Im Kanal stoppte ein englisches Kriegsschiff den Dampfer, untersuchte die transportierten Waren und nahm 375 deutsche und österreichische Fahrgäste in Zivilgefangenschaft auf die englische Insel. Neben dem Tarnow erging es so noch vier anderen Mecklenburgern aus Schwerin, Wismar und Neubrandenburg.

Im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin betraf die Festsetzung der Ausländer vor allem russische Staatsbürger: Handelsreisende, Schiffsbesatzungen, Badegäste, Studenten, Künstler und Gastarbeiter von russischen Firmen in Nord- und Nordostdeutschland usw. Aus diesen Leuten wurden arbeitsfähige Kräfte ausgesondert, interniert und zu Zwangsarbeit verpflichtet. Den anderen Teil (insbesondere wohlhabende Badegäste, ältere Personen, Frauen, Kinder) schob man über Stralsund, Saßnitz, Schweden und Finnland nach Russland ab. Oder man ließ den Personen unter 14 Lebensjahren oder im Alter über 46 Jahre die Ausreise frei und warnte dabei vor bedeutend „hohen Kosten“. Für die festgesetzten „russischen Untertanen“ entstanden Anfang August in Altdamm bei Stettin (6000 Personen) und Ruhleben bei Spandau die größten zivilen Internierungslager.

Zivilgefangene konnten als zusätzliche Arbeitskräfte eingesetzt werden für die Landwirtschaft und für Handwerks- und Industriebetriebe, auch für kommunale Bauvorhaben z. B. Auf diese Weise sollten teilweise fehlende Männer an der Heimatfront ersetzt werden. Für die russischen und russisch-polnischen Zivilisten bedeutete Zwangsarbeit jede Arbeit annehmen zu müssen, gegen eine geringe Entlohnung zum eigenen Lebensunterhalt und unter strenger militärischer Bewachung. Die Zuckerfabrik Güstrow beschäftigte im ersten Kriegsherbst 1914 zur Rübenkampagne mehrere zivile Zwangsarbeiter, um die Lücke der fehlenden Arbeiter zu schließen.

Die größte Anzahl der Zivilgefangenen rekrutierte sich aber aus den seit Frühjahr in Mecklenburg arbeitenden landwirtschaftlichen Schnittern aus Russland und Russisch-Polen. Zunächst blieben ihre im Frühjahr, also noch zu Friedenszeit, abgeschlossenen Arbeitsverträge bestehen. Doch die persönlichen Freiheiten wurden sofort eingeschränkt, das hieß: jeder Ortswechsel wurde verboten und freie Bahnfahrt versagt, damit auch keiner sich in Richtung Osten oder nach Schweden absetzen konnte.

Anfangs brachten die „Schnitter“ große Unruhe in die Bevölkerung. Von Ausschreitungen auf den umliegenden Gütern oder Brandstiftungen war die Rede, was sich jedoch hinterher meist als Gerücht aufklärte. Überhaupt hatten es Leute aus Staaten, mit denen das Kaiserreich Krieg führte, in diesen Kriegstagen sehr schwer. Denn da waren Gerüchte in Umlauf gebracht worden, die Panik verursachten. Da hieß es z. B. in Güstrow, dass im Norden Russen mit Autos unterwegs waren, um deutsches Gold nach Russland zu verschleppen. Fast jeder Ausländer aus „Feindesland“, aus Russland, England und Frankreich, galt unversehens als potenzieller Spion, Saboteur, Attentäter usw.

Die Stadt Güstrow griff zur Bildung einer Bürgerwehr, beschloss deren Bildung auf der 1. Kriegssitzung von Magistrat und Bürgerausschuss am 8. August 1914. Mit einer Stärke von 80 Mann, eingeteilt in 10 Zügen, und 80 Reserven, sollte die Bürgerwehr ihren Wachdienst „besonders auf das platte Land ausdehnen.“



 Güstrower Kriegerfrauen


Als die Frau zur Kriegerfrau wurde. Die Bezeichnung Kriegerfrau, darunter wurden meist Ehefrauen und alleinstehende Mütter verstanden, deren Männer oder Söhne in den Krieg zogen, entwickelte sich erst während der Kriegszeit. Und doch wurden die Frauen von Anbeginn täglich für Kriegszwecke mobilisiert. Dabei änderten sich für die Frauen die Lebensbedingungen in jeder Hinsicht schlagartig. Die Männer verließen täglich in Scharen die Heimat, Familie und Arbeit und die Frauen blieben mit den Anforderungen des Tages zurück. Wie oft hörte man wohl auf den Straßen neben dem anfänglichen Jubel auch zweifelnde Sätze: „Das Leben muss ja weiter gehen“ oder „Wenn die Kinder nicht wären …“. Auf ihren Schultern ruhte die wirtschaftliche und soziale Verantwortung für Haus, Heim und die Kindererziehung. Die soziale Situation war schwierig, denn die Männer als Haupternährer der Familie, als so genannter Hausvorstand, fehlten schmerzhaft. Über zeitliche Umfänge und Dauer des Krieges dachte anfangs kaum jemand nach, die Menschen glaubten in ihrem Patriotismus der Krieg wäre schnell beendet und das der Krieg nicht lange dauern könne, bald würden die Männer aus dem Feld wieder heimkehren. Die Zuversicht war groß und mit dem Mobilmachungsbefehl in der Hand gingen viele Männer und Väter auf die Güstrower Sparkasse, um für ihre Abwesenheit zusätzlich bares Geld für Frau und Kinder abzuheben. Bei den meisten wurden die ohnehin mühsam zusammen getragenen Ersparnisse aufgebraucht, aber vorläufig sollte es reichen! Die Krieger erhielten dann auf dem Schlachtfeld je nach Dienstgrad geringe Löhnung, viele Familienväter schickten davon noch Geld nach Hause, um Frau und Kinder durchzubringen oder zu unterstützen.

Der Familienvater fehlte und für die soziale Sicherheit sollten nunmehr Staat und Kommune mit täglich neu erscheinenden Verordnungen eintreten. In der ersten Kriegssitzung vom 8. August beschlossen Magistrat und Bürgerausschuss zu Güstrow den einberufenen Beamten ihr Gehalt weiterzuzahlen, den Familien der einberufenen Angestellten und Arbeiter die Hälfte des Lohnes weiterzuzahlen. Für alle anderen Soldatenfamilien, aus den Betrieben, aus dem Handwerk, sah es weit weniger günstig aus. Es galten zunächst nur die staatlichen Unterstützungssätze. Die Familienunterstützung betrug im Sommer 1914 9 Mark und im Winter 12 Mark monatlich für die Ehefrau, für Kinder unter 15 Jahren 6 Mark und wurde im Verlauf des Kriegs erhöht, z. B. auch auf uneheliche Kinder ausgedehnt usw. Die Zeitung informierte regelmäßig insbesondere die „niederen Stände der Stadt“ zu aktuellen Veränderungen in der sozialen Gesetzgebung. Die Frauen mussten also auch sehr aufmerksam sein, wenn sie mit ihren Anträgen auf Zuschüsse zurechtkommen wollten. Wie es sich bald zeigte, reichten diese staatlichen Ersatzleistungen jedoch nicht aus und die Stadt musste Kredite aufnehmen, um die allgemeine Unterstützung aufzustocken.

Ebenso entfaltete sich eine private Wohlfahrt in Güstrow. Neben vielen politischen Losungen und Schlagworten dieser Zeit, war dann in der Zeitung zu lesen: „Ehrenpflicht der Zurückbleibenden ist es, für die Familien der Hinausziehenden zu sorgen.“ Tatsächlich unterstützten viele Bürger von Güstrow, denen es wirtschaftlich gut ging, die Kriegerfrauen und ihre Kinder in starkem Umfang. Güstrows Malerinnung spendete 50 Mark und der hier ansässige Verein mecklenburgischer Justiz- und Domanialuntertanenen stiftete 100 Mark für mildtätige Zwecke. Die Stadt gründete ein Hilfskomitee für Familien in Not. Der eingerichtete städtische Arbeitsnachweis konnte im August 1914 fast alle 200 Arbeitslosen in Arbeit bringen und versuchte nun auch besonders Frauen auf durch den Krieg frei gewordene Arbeitsstellen zu vermitteln. Der Krieg war von Allen als eine nationale Aufgabe verstanden worden und die persönliche Bereitschaft der Einzelnen in Notzeiten zu helfen war groß. Von Anbeginn des Krieges gab es organisierte Sammlungen zugunsten der Soldaten an der Front aber auch für Frauen und Kinder. Die Leute gaben bereitwillig und großzügig Geld und Sachspenden jeder Art her. Dabei ist zu bemerken, dass der große Zusammenhalt und die gegenseitige Hilfe der Soldatenfrauen hauptsächlich durch sie selbst aufgebaut und begründet wurde. Im Güstrower Frauenverein z. B. gab es in jeder erdenklichen Weise stets einen guten Rat und Hilfe bei Antragstellungen für die Verwaltung.


Kriegsgefangene in Güstrow


Zwischen 1914-1918 gerieten Millionen Soldaten und Offiziere aus allen kriegsführenden Ländern in Gefangenschaft, der Umgang mit ihnen wurde durch die kriegsvölkerrechtlichen Vereinbarungen der Haager Konvention von 1907 geregelt. Die Güstrower Zeitung veröffentlichte am 12. Dezember 1914 in einem Extrablatt Zahlenangaben zu Kriegsgefangenen, die aus Berlin gemeldet wurden: 220000 Kriegsgefangene, davon vom Kriegsgegner Russland 1830 Offiziere und 91400 an Mannschaften. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Stadt Güstrow bereits die ersten Erfahrungen mit Kriegsgefangenen. Anfang Oktober 1914 waren der 2 Kriegsgefangenentransporte mit mehreren Hundert Franzosen, Turkos (französische Kolonie in Afrika) und Zuaven (aus Französisch-Nordafrika) eingetroffen und wurden in dem eigens dafür errichteten Barackenlager untergebracht. Die arbeitsfähigen Kriegsgefangenen wurden anfangs zur Erweiterung des Barackenlagers eingesetzt und für Bahndammarbeiten. Um den Gefangenentransport zu regulieren, wurde ein 2600 m langes Bahngleises vom Lager zum Bahndamm gelegt. Schließlich wurden ab November 1914 Lübecker und Hamburger Firmen beauftragt, das Lager winterfest aufzubauen, so wie es vorgeschrieben war. 100 winterfeste Baracken für je 100 Gefangene entstanden in kurzer Frist und die Internierten konnten dauerhaft und ordnungsgemäß untergebracht werden.

Ab sofort gab es in der Stadt zusätzliche Sicherheitsanordnungen. Der Umgang mit den Gefangenen wurde der Bürgerschaft untersagt und ebenso angeordnet „sich jeder Äußerung, sei es freundlichen, sei es feindlichen Charakters, zu enthalten …“ Und doch erregten bald die bunten Uniformen der Franzosen, Belgier, Engländer, Russen und der Schotten, mit großkarierten Kleiderröckchen und nackten Beinen, „das lebhafteste Interesse der Güstrower Einwohnerschaft.“ Denn obgleich die Gefangenen interniert wurden, konnten sie der Öffentlichkeit nicht gänzlich entzogen werden. Sie kamen am Bahnhof an, marschierten auch durch die Stadt und wurden später in umliegenden Betrieben zur Zwangsarbeit eingesetzt.

Bei der Inspektion deutscher Kriegsgefangenenlager durch die dänisch-russische Kommission am 4. Oktober September 1915 wurde das Lager Güstrow unter den 76 inspizierten Lagern in Deutschland bewertet und einige Probleme wurden festgestellt. Das Lager fasste zu dem Zeitpunkt 1 Arzt, 10000 Gemeine Soldaten und 37 Zivilgefangene. Die Kommunikation mit der deutschen Lagerleitung war klar geregelt mit vielen Vorschriften. Dazu gehörte, dass es keinen Ausgang in die Stadt Güstrow gab. Jeder Neuzugang musste erst in die Quarantäne: medizinische Untersuchung auf ansteckende Krankheiten bis hin zu Entlausungen, Impfungen gegen Pocken, Typhus und Cholera durch Ärzte und anderes medizinisches Personal.

Gelegentlich gab es einen Fluchtversuch, der aber regelmäßig scheiterte. Die Güstrower wurden darauf aufmerksam, wenn in der Stadt ein Steckbrief aushing, doch sie nahmen es gelassen hin. Denn die Erfolgsaussichten standen schlecht, oft waren sie mit gestohlener Kleidung von den Vogelscheuchen aus einem Garten unterwegs und sie hatten Hunger. Nach Feststellung der Kommission wurden die eingefangenen Entflohenen von den Wachmannschaften schlecht behandelt. Auf dem Rücken wurde ihnen dann ein großes Stoffkreuz angebracht, das bis auf die Beinkleider herunterging. Man trennte man sie von ihren Kameraden, sie kamen in besondere Baracken, wo sie oft monatelang alleine festsaßen, ohne größere Bewegungsfreiheit.

Außerdem gab es im Lager eine Menge alltäglicher Nöte, die oft mit nationalen Gewohnheiten der Gefangenen zusammenhingen. Ein Teil der Gefangenen bekamen z. B. aus Mangel an Stiefeln stattdessen Holzschuhe, und diese verursachten Schmerzen, weil die russischen Insassen nie solche Fußbekleidung getragen hatten. Weiter fehlten Mäntel für eine große Anzahl der Gefangenen, wo es doch für die Meisten 1915 auf den zweiten mecklenburgischen Winter zuging. - Die Postverteilung dagegen war gut organisiert und nicht wenige der Kriegsgefangenen waren damit gut beschäftigt, denn von Güstrow aus wurde auch das Gefangenenlager in Neustrelitz versorgt. Gottesdienste konnten derzeit nicht abgehalten werden, weil kein Priester im Lager vorhanden war. Die häufigsten Klagen von Seiten der Gefangenen betrafen die vielen und strengen Strafen, selbst bei kleineren Vergehen und ein großes Thema war die ungenügende Nahrungsmittelzuteilung. Die Gefangenen beklagten die geringe Menge der Proviantrationen, namentlich der Brotrationen, doch Kriegsdeutschland musste inzwischen an allen Dingen sparen und streng rationieren.

Dabei wussten auch die Wachmannschaften, volle Mägen waren das beste Mittel, um jedwede Unzufriedenheit oder Aufruhr im Lager zu verhindern. Deshalb verlangte das Kriegsministerium in Berlin für jeden Monat die Einreichung eines Speiseplans aus Güstrow. Ein Lager für rund 10000 Mann verschlang für den Monat 90000 kg an Brot, für einen Wintermonat 23000 kg Fleisch und 200000 kg Kartoffeln und für einen Sommermonat 17000 kg Fleisch und 200000 kg Kartoffeln. Der individuelle Verpflegungssatz für einen internierten Soldaten war täglich auf einen Nährwert von 2700 Kalorien (85 g Eiweiß, 40 g Fett und 475 g Kohlehydrate) bemessen.

Beim Essen trafen aber die Speisegewohnheiten verschiedener Nationen aufeinander. Wo Franzosen und Russen gemeinsam abgespeist wurden, wie in Güstrow, fielen weniger Essenreste an. Wenn überhaupt. Besonders hart traf es die Franzosen, als Mitte 1916 in den Gefangenenlagern die tägliche Brotration von 500 g auf 300 g gekürzt wurde, aufgrund des Getreidemangels in Deutschland. Ansonsten hieß es für alle Gefangene - die Zeit im Lager irgendwie durchhalten. Die meisten warteten vier Jahre lang und hofften auf einen Gefangenenaustausch oder auf den Friedensabschluss.



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