Erster Weltkrieg - Heimatfront Ueckermünde
1914 endete für die Deutschen nach 43 Jahren Frieden die immer noch heile Welt des 19. Jahrhunderts, die aber mit den Balkankriegen 1912-13, den Wirtschaftskrisen und dem europäischen Wettrüsten, ins Wanken zu geraten schien.
Waren die Menschen auf einen großen Krieg vorbereitet? Zumindest sollte die Aufrüstung des Heeres den Meisten, auch den Pommern, nicht entgangen sein und die großen Parteien, außer der SPD, begrüßten und förderten sie uneingeschränkt. Für den Wehrbeitrag steuerten die „Reichen“, die „Kleinen“ kamen davon und die Aufrüstung brachte vielen Branchen kräftige Unternehmensgewinne, schuf Arbeitsplätze für die Arbeiterschaft; all das zusammen verschleierte die Kriegsgefahr.
Auch in Ueckermünde standen die Militärvereine, der Kriegerverein oder der Marine- und Wehrverein, der Turnverein und ein Großteil der Stadtbürgerschaft hinter den Rüstungsaktivitäten von Heer und Staat, der größte Teil der Bevölkerung zeigte sich kaisertreu. Wie sollte das auch nach der Jahrhundertwende in einer preußischen Kleinstadt anders sein.
Und als sich dann in der Julikrise 1914, nach dem Attentat von Sarajewo (28. Juni) durch serbische Extremisten und dem „Blankoscheck“ (5. Juli) von Kaiser Wilhelm II. für Österreich-Ungarn, in den entscheidenden Tagen vom 31. Juli und 1. August die politischen Ereignisse überschlugen, versagten Politik und Diplomatie und die Menschen waren „plötzlich“ vor vollendeten Tatsachen gesetzt.
Krieg? Zu guter letzt und selbst in Pommern demonstrierten Menschen noch gegen den drohenden Kriegsausbruch. Diese Tage verliefen für die Menschen in Ueckermünde dramatisch.
Am 31. Juli rief der Reichskanzler in Berlin den „drohenden Kriegszustand“ aus und am Abend traf die Nachricht in der Uecker-Stadt ein.
Drei Personen, der Monarch Kaiser Wilhelm II., Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg und Generalfeldmarschall von Moltke, entschieden in Berlin am nächsten Tag für 65 Millionen Deutsche, dass das Kaiserreich militärisch mobil machte und in den Krieg eintrat. Entscheidend, der Kaiser-Befehl.
Auch die meisten Ueckermünder glaubten ihrem „Friedenskaiser“ und an die Unschuld Deutschlands am Ausbruch des Krieges. Nach der ausgestreuten Propaganda war das deutsche Kaiserreich bedroht und zum Präventivkrieg gezwungen. Ein Körnchen Wahrheit lag in dieser Fiktion schon.
Nach der Reichsgründung 1871 glänzte Deutschland in Europa mit einer modernen Industrie, hielt in einigen Wissenschaften die Spitze und hielt seine traditionelle Kultur aufrecht. Selbst in der Seefahrt schmolz der Vorsprung Englands dahin. Neider besaß Deutschland im Jahr 1914 schon, aber keine exponierten Feinde. Doch verzerrte Menschenbilder vom Deutschen existierten auch. Seit 1912 reduzierte beispielsweise die englische Presse den Deutschen fast ausnahmslos auf den gedrillten preußischen Militaristen
Zum Kaiserwort kam nach dem 1. August 1914 die geistige Mobilmachung hinzu, auch das Gotteswort, wie es beispielsweise der Greifswalder Theologe Professor D. Karl Dunkmann (1868-1932) am 23. August 1914 in St. Nikolai zu Greifswald predigte und auch in Ueckermünde verliefen die Gottesdienste und Kriegsgebetstunden nicht anders ab:
„Nicht Menschen haben diesen Krieg heraufgeführt, und doch sind es Menschen gewesen, die die Verantwortung tragen. Gott aber hat ihn gewollt, Gott hat ihn gemacht.“
1914-1918, genau 1563 Tage sollte der Erste Weltkrieg dauern, was anfangs niemand ahnte und auch glaubte. Vier und ein viertel Jahr vergingen von der Mobilmachung an im kraftstrotzenden Wilhelminischen Kaiserreich am 1. August 1914 bis zur Unterzeichnung des Waffenstillstandes am 11. November 1918. Eine überschaubare Zeit, die doch für die meisten Menschen unendlich lang schien.
Kein feindlicher, bewaffneter Soldat betrat pommerschen Boden, keine Bomben fielen auf pommersche Städte. Pommern blieb von direkten Kriegshandlungen verschont. Doch hatte der Erste Weltkrieg 1914-1918 in Ueckermünde tiefe Narben bei den Menschen hinterlassen. Kaum jemand blieb verschont, kaum jemand, der nicht eine traurige Geschichte über Tod und Verlust, über Hunger und Elend, über die Generationen hinweg erzählt bekam.
Während die militärische Mobilmachung und der Aufmarsch von 8 Armeen? an die West- und Ostfront „fahrplanmäßig“ und wie ein Uhrwerk mit Hilfe der Eisenbahn abliefen, zog in der Zivilgesellschaft, nach den anfänglichen Hurra-Rufen zum Kriegsausbruch und für die Verteidigung des Vaterlands, Ernüchterung und mehr als Unruhe ein.
Da liefen die Ueckermünder Männer aus Angst um ihr Geld auf die Sparkasse, bei den Frauen setzten Panikeinkäufe an Lebensmitteln und um Salz ein, jung und alt glaubten recht abenteuerlich von ausländischen Feinden und Saboteuren umgeben zu sein und rüsteten zur Bürgerwehr.
Die wirtschaftliche Not war überall bald zu spüren, Handwerksbetriebe schlossen, weil die Meister in den Krieg zogen. Sowohl die Zufuhr von Rohstoffen für die Industrie als auch der Absatz ihrer Produkte wurde schwierig.
Die Arbeitslosigkeit schwächte sich aber sehr rasch ab. Die Landwirtschaft brauchte infolge Einziehung eines Teils ihrer Arbeitskräfte zum Heer für die Einbringung der Ernte dringend Arbeitskräfte. Ein Teil der Arbeitslosen aus der städtischen Bevölkerung fand zeitweise auf dem Lande gute Arbeitsgelegenheit.
Nach etwa einem halben Jahr gelang es einigen Betrieben durch Umstellung auf „Kriegsproduktion“ wieder in die Spur zu kommen, Arbeitskräfte zu beschäftigen und profitabel zu wirtschaften, unter Umständen höhere Betriebsgewinne zu erzielen als in Friedenszeiten. Zu den pommerschen Unternehmen, die für die Landesverteidigung wichtige Güter verarbeiteten und veredelten, zählten u. a. aus Pasewalk: B. Keibel (Fälle u. Häute), B. und I. Steinberg (Fälle u. Häute), Pasewalker Stärkefabrik (vorm. Pohl u. Prigge), W. Otto (Mahlmühle) und H. Stege (Dampfmühle).
In Torgelow schafften die Wende vor allen Dingen die Eisengießereien: Althoff u. Co., Carlshütte, Habetha u. Co, Theodor Vollgoldt u. Sohn, Klamp u. Co., König u. Co., Gebr. Sauer u. Co. (Vorgänger Eiseng. Bähr & Co.) und Otto Wendorf & Co. Rep. 60, Oberpräsident, „Bewachung von Kornspeichern und Mühlen, Getreide ...“, Nr. 2861, Bl. 79.
Viele Ueckermünder Soldaten wurden zum in Stralsund und Greifswald stationierten Infanterieregiment Prinz Moritz Anhalt von Dessau (5. Pommersches) Nr. 42 einberufen. Das Regiment rückte am 7. und 8. August 1914 in den Krieg aus. Ziel: die Westfront.
Bataillons-Kommandeur Major v. Knobelsdorff (Greifswald) berichtete Mitte September 1914 erstmals von schweren Verlusten:
„Sollte es mir nach glücklichem Frieden vergönnt sein, mit dem Bataillon wieder heimzukehren, so werden viele in den Reihen fehlen, die einst auszogen. III./42 war oft in vorderster Linie und hat seine Schuldigkeit getan. Viele starben den Heldentod. Unser lieben Garnisonsstadt meinen Gruß.“
11. September 1914: Oberst Leu schreibt an den Magistrat zu Stargard: „Große Opfer! Vorgestern allein 200 Offiziere und Mannschaften verloren. Aber die Pommern! Hut ab vor Ihnen! Stimmung des Regiments herrlich. Einen Gruß der lieben Heimatstadt Stargard. Regimentskommandeur Oberst Leu, 9. Grenadierregiment“
Am 2. Februar 1919 kehrten „unsere 42ger“, wie sie von den Pommern mit stolz genannt wurden, sehr dezimiert von der Westfront heim.
Andere Ueckermünder Einberufene kamen zu den Pasewalker Kürassieren:
„Fünf Eskadrons der Pasewalker Kürassiere marschierten in den Morgenstunden des 3. August in nagelneuer Montur zum Bahnhof. Die lange Fahrt führte über Neubrandenburg, über Lübeck und Hamburg ins Hannoversche und über Osnabrück nach Westfalen. Am 5. August 1914 gegen 3.00 Uhr traf die letzte Eskadron auf dem Güterbahnhof Aachen ein. Von dort ging es weiter nach Belgien hinein. Am 11. August 1914 fielen mit den Kürassieren Otto Mai, Franz Venohr und den Gefreiten Paul Mecklenburg die ersten Regimentsmitglieder.“
In Pasewalk verblieb ein Reserve-Ersatzeskadron.
Bereits nach vier Monaten Krieg kämpften etwa 3000 Männer aus dem Kreis Ueckermünde an den Kriegsfronten in West und Ost und hatten ihre Frauen, Kinder oder Eltern zurücklassen müssen. Die meisten Wehrpflichtigen aus dem Beurlaubtenstand (Landwehr) mussten sich den Bezirkskommandos in Stralsund oder Anklam stellen und wurden von dort anderen Militäreinheiten zugewiesen. In vielen Familien waren sie die Haupternährer und nun mussten Staat, Kommune und die Frauen für die Hausväter finanziell eintreten. Gerade die Frauen der Soldaten mussten sich wirtschaftlich und sozial neu orientieren und über sich hinauswachsen.
Ueckermündes Frauen organisierten sich im Vaterländischen Frauenverein, sammelten in der Stadt Geld für ihre in Not geratenen Mitgenossinnen und Familien, sie schufen mit dem Arbeitsnachweis, der Nähstube usw. Möglichkeiten zur Arbeit, sie engagierte sich in den Lazaretten in der Krankenpflege.
An viele neue Dinge mussten sich die Menschen gewöhnen und alte Gewohnheiten ablegen. Alles begann mit dem Brot und Mehl auf Grundlage einer Bundesratsverordnung. Der Torgelower Konsumverein kündete seinen Mitgliedern zum 18. Januar 1915 ausschließlich K-Brot an (Kriegsbrot mit Kartoffelanteil). Den Bäckern war deutschlandweit nächtliches Arbeitsverbot ausgesprochen, so dass die Kunden am frühen Morgen kein frisches Brot und keine frischen Brötchen erhielten, um an den Getreide- und Mehlvorräten zu sparen. Letztendlich war das aber nur ein „Magenproblem“.
Die sich anschließenden Maßnahmen wirkten sich schon folgenreicher für die Ernährung aus. In kurzen Zeitabständen, je nach Stand der Lebensmittelversorgung im Reich, schrieben Bundesrat und Kriegsernährungsamt den Maximalverbrauch für Lebensmittel pro Tag oder Woche vor. Torgelow gab zum 22. Februar erstmals Brotmarken heraus. Bis zum 15. März hatte der Kreis Ueckermünde das Brotmarken-System in allen Gemeinden eingeführt. Brot oder dafür Mehl gabs für die Bevölkerung bis zum Kriegsende und darüber hinaus nur noch rationiert. Ab 1916 folgten Karten für Kartoffeln, Fleisch, Seife, ab 1917 für Milch und Butter, Seife und ab 1918 für Eier.
Doch die wirtschaftliche Not unter den ärmeren Bevölkerungsschichten wurde überall größer. Torgelow richtete nach Kriegsbeginn für Bedürftige eine Kriegsnotstandsküche ein. Im Herbst 1915 wurden täglich etwa 700 Essen ausgegeben, zunächst kostenlos, dann für den noch angemessenen Preis von 10 Pfennig pro Essen.
Teure Preise und Lebensmittelknappheit veranlassten auch den Magistrat zu Pasewalk Oktober 1916 erstmals eine Massenspeisung einrichten zu lassen. Als Betriebskapital stellte die Stadt 10000 Mark zur Verfügung.
Ueckermünde vergaß auch nicht die Kinder und Jugendlichen, die im Krieg ohne Väter aufwuchsen und die Großen, insbesondere die 16-18 jährigen jungen Burschen, wurden von der Kriegsgesellschaft körperlich wie geistig in Jugendwehren als „Reserve“ für den Kampf mobilisiert.
Die einberufenen Männer fehlten in der Landwirtschaft des Landkreises. Wenn der Bauer als Haus- und Hofherr in den Krieg musste, lag die Arbeitslast hauptsächlich bei der Frau und die Kinder sollten über Gebühren bei der Ackerbestellung und in der Ernte helfen. Nicht selten wechselte der Großvater wieder vom gemütlichen Altenteil in das anstrengende Arbeitsleben und macht sich mehr als nützlich. Betroffen vom Arbeitskräftemangel zeigten sich insbesondere die großen landwirtschaftlichen Güter. Und dann fehlten noch die unentbehrlichen Arbeitsmittel; die Pferde, Geschirre und Wagen, um schwere Arbeiten zu bewältigen. Sie waren zum Heer ausgehoben und rekrutiert worden wie die Soldaten.
Was die Menschen in Ueckermünde in den ersten Monaten vom Kriegsverlauf erfuhren, kam aus den Zeitungen, war von oben durch die OHL (Oberste Heeresleitung) über Agenturen durchgestellt: Siege, Siege usw. und alle anderen Informationen unterlagen der rasch eingeführten Zensur und viele Berichte der Kriegspropaganda. Die Feldpost kam Ende August 1914 in Gang und die persönlichen Briefe und Karten der Soldaten nach Hause kontrollierten ihre unmittelbaren militärischen Vorgesetzten auf Siegesgewissheit und Tapferkeit hin. Bald war auch das Tagebuchschreiben der Soldaten nicht mehr erwünscht.
Nachrichten vom schweren Schicksal der Soldaten trafen dennoch durch die amtlich veröffentlichen Verlustlisten ein. Veröffentlicht wurden vermisste, verwundete, gefallene oder in Gefangenschaft geratene Soldaten mit Namen, Einheit und Geburtsort. Seit Mitte August 1914, also gleich mit Kriegsbeginn, gab es daraus in der Ueckermünder Tageszeitung auszugsweise Veröffentlichungen. Ein dickes Buch der Leiden wurde geschrieben und kein Ende war abzusehen. Verwundet, vermisst oder gefallen, jeden Tag erschienen neue Namen und Schicksale, nur sollte es kein bekannter Ueckermünder sein. Aus den Angaben der Verletzungen: leicht, schwer, mit Bauchschuss, ließ sich die Grausamkeit des Krieges erahnen, doch konnten die Angehörigen noch auf die Genesung der Betroffenen in den Lazaretten hoffen. Vermisst hingegen ließ nur noch die Hoffnung auf Kriegsgefangenschaft zu.
In der Verlustliste Nr. 115 Anfang 1915 wurde der kriegsfreiwillige Karl Abtshagen aus Belling von den Pasewalker Kürassieren als vermisst gemeldet. Die Verlustliste Nr. 119 revidierte: 4. Eskadron, Kriegsfreiwilliger Karl Abshagen, bisher vermisst, gefallen. Beerdigt 100 Meter nordwestlich Budki.
Gerade als Pedant dazu erschienen die Namen der Helden in der Zeitung, die mit dem Eisernen Kreuz Erster und Zweiter Klasse ausgezeichneten Soldaten und Offiziere.
Im April 1915 erschien die 200. amtliche preußische Verlustliste der deutschen Armee. Da waren 8 Monate Krieg vergangen. Ende 1915 betrauerte das evangelische Kirchspiel Torgelow etwa 100 Gefallene. Ueckermünde beklagte 156 Tote und der Landkreis Ueckermünde zählte 241 Gefallene.
Die meisten dieser verstorbenen Kriegsteilnehmer blieben für immer in fremder Erde zurück, sie fanden das schlichte Soldatengrab, den Hügel, oder ein Massengrab, in Belgien, Frankreich, Russland oder Galizien. Viele Angehörigen zuhause besaßen nicht das Geld, um sie heimzuholen. Heimatliche Bestattungen gefallener Kriegsteilnehmer bildeten so die Ausnahme. Beispielsweise die Überführung der Leiche von Richard Fritze und seine Bestattung auf dem Friedhof Torgelow (November 1916).
Und nach dem Krieg?
November 1918 lebten im Deutschen Kaiserreich noch 3 hoch betagte Witwen und 376 ledige Töchter der verstorbenen Kämpfer aus den Befreiungskriegen 1813-15, für die der Vorstand des Kriegerbundes für Weihnachten 1918 sammelte. Wie viele Soldatenwitwen und Waisenkinder hatte nun dieser Große Krieg von 1914-1918 hinterlassen?
In Pommern richtete der Provinzialverband gleich mit Kriegsbeginn 1914 eine Kriegsversicherung für die Hinterbliebenen ein. Man nahm die Verlustziffern des Feldzuges von 1870/71 zum Ausgangspunkt und kalkulierte damit, dass die Verluste des neuen Krieges ungefähr die gleichen werden würden. 1919 musste sich Provinzialverband eingestehen, dass man sich über die Länge des Krieges, der gesteigerten Waffenwirkung und der daraus resultierenden hohen Zahl an Kriegstoten schwer geirrt habe und musste für die Kriegsversicherung „sammeln“ gehen, um den Witwen, Waisen und Eltern eine menschenwürdige Versicherungssumme zukommen zulassen.
„Die heimkehrenden Soldaten, deren Frauen während des Kriegs vielleicht bei Eltern oder Verwandten ein Unterkommen gefunden hatten, verlangten jetzt mit Recht eine Wohnung und auch zahlreiche Abwanderer aus den abgetretenen Gebieten wollten untergebracht sein.“